"Die Stadt ohne Juden"
6. November 2019 - Filmvorführung:
Im Jahr 1924 ist Hans Karl Breslauers Stummfilm „Die Stadt
ohne Juden“ in den Kinos der Ersten Republik angelaufen. In
drastischen Bildern beschreibt die satirische Dystopie, die auf dem
gleichnamigen Roman Hugo Bettauers basiert, die Ausweisung der
jüdischen Bevölkerung aus dem fiktiven Staat Utopia. Dass das
Gezeigte einmal Realität werden sollte, konnte damals noch niemand
ahnen. Jahrzehntelang lag das Zeitdokument nur in inkompletter
Fassung vor - bis auf einem Pariser Flohmarkt eine Kopie des Films
gefunden wurde. Das Filmarchiv Austria hat das Material übernommen
und, finanziert durch Crowdfunding, restauriert. Die Neufassung
feiert demnächst ihre Premiere - flankiert von einer Ausstellung,
die den Bogen spannt zwischen damaligen Geschehnissen und
Entwicklungen der Gegenwart.
Jüdinnen und Juden, die auf dem Bahnhof Abschied nehmen von ihren
Liebsten. Eine Frau, die auf dem Bahnsteig zusammenbricht, aus Angst
vor der Fahrt ins Ungewisse. Ein alter Mann mit Rauschebart, der
weinend an einer Laterne lehnt. Orthodoxe Juden, die sich auf den
Weg machen aus ihren Häusern und von Polizisten mit Gewehren aus der
Stadt in eine verschneite Hügellandschaft geleitet werden. Die auf
dem Weg noch schnell ein wenig Heimaterde in ein Tuch packen und zu
Gott beten, auf dass er ihren Peinigern vergeben möge.
Mit Szenen wie diesen machte Breslauer
in „Die Stadt ohne Juden“ die Brutalität der Vertreibung
deutlich. Sie spielen im fiktiven Staat Utopia, der in einer
schweren wirtschaftlichen Krise steckt. Das Volk macht die
Jüdinnen und Juden für die Misere verantwortlich. Aus dem
alltäglichen Antisemitismus wird ein politischer: Vor dem
Parlament demonstrieren die Menschen; sie fordern nicht nur
die Schaffung von Arbeitsplätzen und gerechten Lohn, sondern
auch die Ausweisung der jüdischen Bevölkerung. Der
Bundeskanzler gibt dem Druck der Straße nach, die Abgeordneten
verabschieden ein Gesetz, das die Juden zum Verlassen des
Landes zwingt. Als der Kanzler auf dem Balkon seines
Amtssitzes verkündet: „Wir können zufrieden sein. Alles Fremde
hat das Land verlassen“, strömen die Menschen auf die Straßen
und zünden Feuerwerke.
Doch die Feierstimmung ist nur von kurzer Dauer: Der
wirtschaftliche Verfall beschleunigt sich, die Inflation
steigt und mit ihr die Lebensmittelpreise. Auch der
gesellschaftliche Fortschritt gerät ins Stocken: Wo einst
modebewusste Menschen Großstadtflair versprühten, regieren nun
Lodenjanker und Steirerhut. Konditoreien werden aufgrund
mangelnder Nachfrage zu Stehbierhallen umfunktioniert. Utopias
Hauptstadt „verdorft“.
Die Juden werden wieder zurückgesehnt ...
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